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Ein Dialog - "Therapiestunde" von Kira Hartmann

Datum:
28. Juni 2021
Von:
Kira Hartmann

T=Therapeutin
J=Jasmin


T: Okay, es sind nur noch 40 Minuten übrig.

J: Hm?

T: Was ich damit sagen möchte ist, dass du die letzten 20 Minuten nichts außer „Guten Tag“ gesagt hast und dich nicht auf deinem Stuhl bewegt hast.

J: *gibt zustimmendes Geräusch von sich*

T: Jasmin, ich bin deine Therapeutin, du sprichst weder mit deinen Eltern noch mit jemand anderem, du kannst mir vertrauen. Ich unterliege einer Schweigepflicht. Ich sage niemandem etwas und rede mit keinem, wenn du das nicht willst.

J: *Antwortet nicht*

T: Du bist jetzt schon das achte mal bei mir und du hast in den Stunden noch nie mit mir über deine Probleme gesprochen. *kurze Pause* Deine Mitmenschen machen sich Sorgen. Man sieht dir an, dass dich etwas beschäftigt. Es wird nicht weniger existent, wenn du es versuchst in dein Unbewusstsein zu verdrängen. Magst du mir nicht sagen, was passiert ist?

J: Das kann ich nicht.

T: *überrascht, dass Jasmin mit ihr spricht* Warum?

J: *überfordert mit ihren Gedanken*

T: Ist alles in Ordnung mit dir? *kurze Pause* Jasmin?

J: Nein.

T: Was ist passiert? *kurze Pause* Vielleicht kann ich dir helfen. Ich versuche dein Problem zu lösen, aber dazu musst du mir sagen, was passiert ist.

J: Das kann ich nicht.

T: Egal, was passiert ist, du darfst mit mir reden. Wir sind alleine, du wirst weder beobachtet, noch spreche ich mit jemandem darüber.

J: Ich bin gerade überfordert damit.

T: Inwiefern?

J: *antwortet nicht*

T: Jasmin, wovor hast du Angst oder was schränkt dich so sehr ein, dass du in den letzten fünf Wochen mit niemandem reden konntest?

J: Ich kann es Ihnen nicht sagen.

T: Okay, du darfst mir nicht explizit von deinem Problem erzählen, kannst du mir denn andere Informationen geben?

J: Mich verfolgen die Erinnerungen.

T: An was?

J: *schweigt*

T: Du hast offensichtlich eine Art Trauma, das habe ich in den Stunden in denen du schweigend vor mir saßt beobachtet, du bist immer nach einigen Minuten zusammengezuckt und du hast immer mehr versucht, dich wegzubewegen. Ich versuche wirklich dir zu helfen.

J: Ich bin jedes mal an der gleichen Stelle.

T: An welcher genau?

J: Da, wo ich vor fünf Wochen stand.

T: Sind an diesem Ort, wo du bist auch noch andere Menschen?

J: Nein. *Pause* Nicht zu Beginn.

T: Okay. Wo bist du denn genau?

J: Ich stehe auf einem Punkt und Warte.

T: Wo ist dieser Punkt oder die Stelle? In der Schule oder am Bahnhof, an welchem Ort stehst du?

J: Draußen.

T: Auf der Straße?

J: Nein. Auf einer Wiese.

T: Worauf wartest du denn? *kurze Pause* Auf Freunde oder deine Eltern?

J: Auf den Sonnenuntergang.

T: Alleine? Hast du dich verabredet und deine Freunde kommen später?

J: Nein. Ich brauche eine Pause.

T: Du brauchst eine Pause. Wovon denn?

J: Stress. Ich bekomme kaum noch Luft, es ist immer gleich.

T: Warum hast du den Stress?

J: Ich habe mich nicht halten können. Ich habe es nicht erreicht.

T: Was hast du nicht erreicht? Hast du jemanden angerufen?

J: Meinen Traum. Ich bin gescheitert.

T: Was wolltest du erreichen?

J: Die Aufnahmeprüfung für die Tanz-Uni.

T: Und das, beschäftigt dich so sehr, dass du jedes mal zusammenzuckst, wenn du daran denkst?

J: Nein. Ich beobachte die Sonne, der Himmel ist orange, ich spüre, dass ich mich langsam von der schlechten Nachricht erhole und atme wieder normaler. *zuckt zusammen*

T: Jasmin, warum zuckst du jetzt zusammen? Was ist passiert?

J: Ich *hat kurz Schwierigkeiten zu reden* Ich stehe auf der Wiese und genieße die Ruhe, ich beruhige mich langsam und *Sie hat wieder Schwierigkeiten weitezureden* und plötzlich packt mich jemand am Arm.

T: Jasmin? Ist alles okay? Brauchst du Zeit?

J: Mich packt jemand am Arm und zieht mich mit sich. Ich habe kaum Möglichkeiten mich zu wehren, der Mann hält mir den Mund zu und ich bekomme wieder schlechter Luft. Meine Arme und Beine sind wie gelähmt und funktionierten nicht mehr. Ich wurde gegen meinen Willen mitgezerrt. *fängt an, immer schneller zu reden* Ich hatte Todesangst, ich wusste nicht, ob ich das überlebe, ich habe gedacht, dass ich sterbe, habe an alles gedacht, was bleibt, wenn ich weg bin und, dass ich zuletzt in meinem Leben zutiefst unzufrieden war. Ich hatte Angst, um meine Mitmenschen, besonders um meine Familie, das ich mich nicht einmal hätte von ihnen verabschieden können.

T: Möchtest du etwas trinken? Oder kann ich dir jetzt gerade irgendwie helfen?

J: Der Mann hat mich zwischen hohe Felder geschleppt, ich hatte Abdrücke an den Armen von seinem festen Griff. Ich habe geschrien, aber für jeden Ton, den ich von mir gegeben habe, hat er gesagt, gibt es nur schlimmere Konsequenzen. Ich habe nach dem ersten Schreien realisiert, dass mich niemand hören kann. Ich konnte mich nicht bewegen, weil er mich so fest packte. Als ich ihn getreten habe und versucht habe ihm irgendwie weh zu tun hat er mich von ihm weggedreht und mir in die Kniebeugen getreten, weshalb ich vor Schmerz weinen musste und in die Knie gefallen bin. Er hat mir dann gedroht, dass ich endlich leise sein soll, aber die Situation war zu viel für mich.

T: Ist er dann weg und hat dich zwischen den Feldern alleine zurückgelassen?

J: Er hat mich immer fester gepackt und hat auf einmal *benötigt einen zweiten Anlauf* und hat angefangen mich auszuziehen. *kann kaum mehr sprechen*

T: Jasmin? Du musst nicht weiter reden. Es ist auch okay, wenn du eine Pause brauchst.

J: Er hat mich vergewaltigt. Ich bin 17 Jahre alt, ich hatte nicht einmal die Chance mich zu wehren. Er hat mich missbraucht und ich war schutzlos. Er hat mich ausgenutzt, mir wehgetan, nicht nur in dem Moment, seit fünf Wochen kann ich nicht mehr schlafen. Ich habe keine Konversation mehr geführt.

T: Es tut mir wirklich leid für dich, ich kann mir gar nicht vorstellen was du in den letzten Wochen alles ertragen musstest und vor allem, was für eine Überwindung es dich gekostet haben muss, mit mir darüber zu reden. Kann *möchte weiter reden, aber wird unterbrochen*

J: Ich bin 17 Jahre alt und er hat meine Schwäche in dem Moment einfach ausgenutzt. Ich war nicht in der Lage mich zu wehren, nur weil ich von Natur aus eine schwächere Position habe, weil ich weiblich bin.

T: Hast du jedes mal den gleichen Moment vor Augen oder weicht es von dem *zögert kurz um richtig zu formulieren* Geschehnis vor fünf Wochen ab?

J: Jede Wiese, jeder Sonnenuntergang, jedes Feld, jeder Mann und jede freie Sekunde erinnern mich daran zurück ich kann nicht mehr normal leben. Es ist als würde ich jeden Tag, seit fünf Wochen nur in dieser einen Situation leben.

T: Nimmst du deine Umwelt denn noch wahr?

J: Nein. Nicht richtig ich spüre immer noch seine Hände ich weiß noch genau wo die blauen Flecken, bis vor zwei Wochen waren.

T: Ist es für dich in Ordnung wenn du hier mit mir darüber sprichst, oder nimmst du es schlimmer wahr?

J: Ich habe gemerkt, dass ich so nicht mehr leben kann und will so auch nicht mehr leben, aber ich werde gequält, es sind immer präsente Erinnerungen, die mich zerstören. Ich brauche Hilfe. Ich brauche eine Lösung. Sofort. Ich gehe Sekunde für Sekunde immer weiter daran kaputt, irgendwann wird diese Situation gewinnen und ich werde verlieren.